Der neue Deutschland-Takt erklärt

Veröffentlicht von nwt-devjun am

Am 09.10.2018 hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) den Ersten Gutachterentwurf des Zielfahrplans Deutschland-Takt vorgestellt. Wir erklären, was das ist und was er für Jena bedeutet.

Was ist der Deutschland-Takt?

Der Deutschland-Takt ist ein Integraler Taktfahrplan für Deutschland. Taktfahrplan bedeutet, dass alle Züge einer Linie in jede Richtung in einem festen Takt fahren, also zum Beispiel mit einer Taktzeit von 30 oder 60 Minuten, woraus sich für jeden Zug an jedem Bahnhof über den ganzen Tag die immer gleiche Abfahrtsminute ergibt. Integral bedeutet, dass sich die Züge immer zur jeweils gleichen Zeit in ausgewählten Knotenbahnhöfen treffen, wo dann die Fahrgäste ohne lange Wartezeit zwischen ihnen umsteigen können. „Deutschland-Takt“ wird der Taktfahrplan genannt, weil er für Fern- und Nahverkehrszüge in ganz Deutschland gelten soll. Der Deutschland-Takt ist das größte Projekt im Eisenbahnbereich seit der Bahnreform von 1994. Er soll den Eisenbahnverkehr revolutionieren und dazu beitragen, die Anzahl der Fahrgäste zu verdoppeln.

Welche Bedeutung hat der Deutschland-Takt für die bisherigen Planungen, zum Beispiel das neue Fernverkehrskonzept der Deutschen Bahn (DB) oder den Bundesverkehrswegeplan?

Der Deutschland-Takt ist darauf angelegt, das übergeordnete Planungsinstrument des Bundes und der Länder für den Eisenbahnverkehr zu werden. So sollen zum Beispiel in Zukunft Aus- und Neubauprojekte von Eisenbahnstrecken nicht mehr isoliert betrachtet und entschieden, sondern aus den Erfordernissen des Deutschland-Taktes abgeleitet werden. Einfach ausgedrückt: Erst wird der Fahrplan entwickelt, dann festgelegt, welche Ausbauten dafür notwendig sind. Bei der Anmeldung von Projekten zum Bundesverkehrswegeplan wird daher in Zukunft immer geprüft werden, ob diese dem Zielfahrplan des Deutschland-Taktes entsprechen.

Etwas schwieriger zu beantworten ist die Frage nach dem Verhältnis zum neuen Fernverkehrskonzept der DB. Seit der Bahnreform 1994 ist der Eisenbahnfernverkehr in Deutschland in dem Sinne privatisiert, dass er nur eigenwirtschaftlich erfolgen darf, d.h. ohne staatliche Zuschüsse auskommen muss. Demzufolge entscheidet jedes in diesem Sektor tätige Eisenbahnunternehmen selbst, welche Verkehre unter dieser Voraussetzung anbieten möchte, und nicht überall stößt dabei das Konzept Deutschland-Takt auf Gegenliebe. So sieht zum Beispiel der Geschäftsführer von Flixmobility, als Anbieter von Flixbus und Flixtrain größter Konkurrent der DB, den Deutschland-Takt skeptisch. Im Fall der DB kann man aber davon ausgehen, dass diese als bundeseigenes Unternehmen dem Planungsinstrument ihres Eigentümers, dem Bund, weitgehend folgen wird. Zudem bleibt abzuwarten, welche ordnungspolitischen Änderungen seitens des Bundes zur Einführung des Deutschland-Takts noch erfolgen werden. Möglich wäre zum Beispiel, dass in Zukunft auch die Fernverkehrsleistungen – wie bereits jene im Nahverkehr – ausgeschrieben und beauftragt werden, oder dass ein Anreizsystem in Form von vergünstigten Trassengebühren geschaffen wird.

Was sieht der Gutachterentwurf des Zielfahrplans für Jena vor?

Der Gutachterentwurf sieht zwei regionale Fernverkehrslinien („FR“) für Jena vor. FR-Linien dienen zur flächenhaften Erschließung, d.h. der Anbindung nahezu aller Städte über 100.000 Einwohner an das Fernverkehrsnetz. Die beiden Linien sind:

  • FR 3 München – Jena – Berlin – Rostock: Der FR 3 soll alle zwei Stunden Rostock-Warnemünde und München über Augsburg, Nürnberg, Jena und Leipzig verbinden. Er hat nur wenige, etwa einem IC entsprechende Zwischenhalte und soll zwischen Leipzig und Berlin sowie Bamberg und Nürnberg mit Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h fahren. Damit erreicht der Zug auf den Strecken Jena – Berlin und Jena – Nürnberg mit einer Fahrzeit von jeweils etwa 2:20 h wieder die Geschwindigkeit der früheren ICE-Linie 28. Wichtige Anschlüsse des FR 3 im Fernverkehr: in Leipzig nach Dresden (8 min), in Berlin nach Hamburg (14 min), in Nürnberg nach München (über Ingolstadt, 6 und 11 min), in Rostock nach Schwerin und Stralsund (6 und 11 min).
  • FR 36 (RRX 2) Aachen – Köln – Jena – Dresden: Der FR 36 soll über Dortmund, Düsseldorf, Kassel, Weimar und Chemnitz fahren, im Abschnitt Aachen – Weimar jede Stunde, im Abschnitt Weimar – Dresden alle zwei Stunden. Außer im Abschnitt Hamm – Eisenach hält er nur in großen Städten. Er ist Teil des Rhein-Ruhr-Express (RRX). Dank sehr weniger Zwischenhalte erreicht er östlich von Jena hervorragende Fahrzeiten von 1:18 h bis Chemnitz (heute 2:40 h) und 2:11 h bis Dresden (heute 2:50 h über Leipzig bzw. 3:30 h über Glauchau). Wichtige Anschlüsse des FR 36 im Fernverkehr: in Dresden nach Prag (9 min), in Erfurt nach Frankfurt und München (10 und 8 min), in Kassel nach Hannover (19 min).

Beide Linien halten in Jena nur einmal in Göschwitz, wo sie sich in den Minuten 09-13 (Richtung Osten und Norden) und 47-51 (Richtung Westen und Süden) treffen.

Weiterhin sieht der Gutachterentwurf sieben Nahverkehrslinien („E“, „N“) vor:

Saalbahn

  • E 8.3 BY Leipzig – Jena – Saalfeld – Nürnberg: Der E 8.3 BY entspricht prinzipiell dem FTX, wie er ab Dezember 2018 fahren wird. In Bayern wird er im Gutachterentwurf jedoch zu einem echten Expresszug aufgewertet, der nur noch in Groß- und Mittelstädten hält, womit er zwischen Jena und Nürnberg mit rund 2:50 h schneller als heute (3:14 h) ist. In Bamberg wird mit einem Zugteil von und nach Coburg geflügelt. Im Nordabschnitt werden zwischen Großkorbetha und Leipzig-Leutzsch alle Unterwegshalte bedient, weswegen der Zug auf der Strecke Jena – Leipzig eine sehr langsame Fahrzeit von 90 Minuten (FTX ab 2019: 65) erreicht. In Leipzig besteht ein Übergang von 9 Minuten zum ICE nach Berlin.
  • E 9 TH Leipzig – Jena – Saalfeld: Der E 9 TH ist quasi der kleine Bruder des FTX. Er verkehrt zwischen Leipzig, Jena und Saalfeld um eine Stunde versetzt zum E 8.3 BY, woraus sich für diesen Streckenabschnitt ein Stundentakt der beiden E-Linien ergibt. Im Abschnitt Leipzig – Jena sind Haltekonzeption und Fahrzeit der beiden E-Züge identisch, ab Jena verschiebt sich die Fahrzeit des E 9 TH um 6 Minuten nach hinten.
  • N 19 TH Halle – Jena – Saalfeld: Der N 19 TH entspricht weitgehend der ab Dezember 2018 verkehrenden RB 25. Der Zug verkehrt stündlich und stellt durch Bedienung aller Halte die Grundversorgung auf der Strecke dar. Die Abfahrtszeiten in Jena liegen etwa 30 Minuten versetzt zu denen der E-Linien, womit auf der Saalbahn zusätzlich zum Fernverkehr alle 30 Minuten ein Nahverkehrszug fährt. In Naumburg wird mit einem Zugteil von/nach Erfurt geflügelt. Die Fahrzeit beträgt langsame 1:25 h (RE 18: 1h). In Halle besteht ein 22-Minuten-Übergang zur FV 45/46 nach Berlin/Hamburg.
  • [ohne Liniennummer] Jena-Saalbahnhof – Pößneck u.B.: Die heutige EB 28 ist im Gutachterentwurf mit einem Stundentakt enthalten.

Alle vier Linien halten im Stadtgebiet am Saalbahnhof, in Paradies und in Göschwitz. Der N 19 TH hält zusätzlich in Zwätzen.

Mitte-Deutschland-Verbindung (MDV)

  • E 1 TH Göttingen – Jena – Chemnitz – Zwickau: Der E 1 TH entspricht dem heutigen RE 1, jedoch fährt er im Ostabschnitt wieder bis Chemnitz mit Flügelzug nach Zwickau ab Gößnitz. Die Fahrzeit nach Göttingen verbessert sich auf 1:50 h (heute 2:13 h), wodurch sich dort Übergänge auf die FV 5.1, 5.2 und 8 Richtung Hannover/Hamburg mit 5 und 31 Minuten ergeben. In Richtung Chemnitz werden hervorragende 1:41 h (heute 2:40 h), nach Zwickau immerhin 1:27 h (heute 1:38 h) erreicht. In Erfurt bestehen Übergänge zu den FV 12/13 Richtung Frankfurt/Wiesbaden mit 25 Minuten und zum FV 7 nach München mit 23 Minuten.
  • E 3 TH Erfurt – Jena – Altenburg: Der E 3 TH entspricht dem heutigen RE 3. Er verkehrt um eine Stunde versetzt zum E 1 TH und bildet zusammen mit ihm einen Stundentakt im Abschnitt Erfurt – Gera.
  • N 21 TH Erfurt – Jena – Gera: Der N 21 TH entspricht der heutigen EB 21. Er verkehrt stündlich und stellt durch Bedienung aller Halte die Grundversorgung auf der Strecke dar. Die Abfahrtszeiten in Jena liegen etwa 30 Minuten versetzt zu denen der E-Linien, womit auch auf der Mitte-Deutschland-Verbindung zusätzlich zum Fernverkehr alle 30 Minuten ein Nahverkehrszug fährt. Einzelleistungen stellen den Anschluss von Jena an die verkürzten Zwischentakte des FR 36 (RRX 2) nach Aachen in Weimar her. In Erfurt besteht Anschluss an FV 4.1/4.2 nach München mit 13 Minuten und FV 45/46 nach Stuttgart mit 11 Minuten.

Alle drei Linien halten im Stadtgebiet am Westbahnhof und in Göschwitz. Der N 21 TH hält zusätzlich in Neue Schenke.

Weitere Details sind den Linientaktkarten des Fernverkehrs und des Nahverkehrs für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu entnehmen.

Bewertung für Jena

Der Gutachterentwurf bedeutet für Jenas Bahnanbindung große Fortschritte, ist an wichtigen Stellen jedoch noch unbefriedigend.

Die beiden FR-Linien sind ohne Zweifel ein großer Wurf. Sie stellen nicht nur wieder umsteigefreie Direktverbindungen nach Berlin und München her, sondern auch nach Dresden, das Ruhrgebiet und an die Ostsee. Zudem sind sie echte Schnellzüge, die mit wenigen Halten und Geschwindigkeiten bis 200 km/h attraktive Fahrzeiten erreichen, und in Fernverkehrsknoten attraktive Anschlüsse bieten. Damit sind sie auch ein Fortschritt gegenüber dem neuen Fernverkehrskonzept der DB, das weniger Direktverbindungen und geringere Geschwindigkeiten vorsieht – der Verlust der Direktverbindung nach Stuttgart und Karsruhe lässt sich da verschmerzen. Bedauerlich ist jedoch die nur zweistündliche Taktfrequenz im Hinblick darauf, dass der Gutachterentwurf für viele deutsche Fernverkehrsrelationen bereits Halbstundentakte vorsieht. Jenas Fernzuganbindung wird damit im Vergleich zum Status Quo zwar deutlich besser, ist im Deutschland-Vergleich des Zielfahrplans aber trotzdem noch unterdurchschnittlich. Der Nahverkehr muss zwischen den Takten der Fernverkehrslinien auch zukünftig Fernverkehrsaufgaben erfüllen.

Im Nahverkehr ergibt sich ein gemischtes Bild. Positiv ist, dass auf den beiden Hauptstrecken alle 30 Minuten ein Nahverkehrszug verkehren soll. Ein Fortschritt sind auch die Geschwindigkeitsverbesserungen der E-Linien in Richtung Nürnberg, Chemnitz und Göttingen und der Stundentakt nach Pößneck. Negativ sind die vielen schlechten Anschlüsse zwischen den neuen FR-Linien und dem Nahverkehr in Mitteldeutschland; damit entgehen den neuen Fernverkehrslinien Fahrgäste, die sie brauchen, um langfristig sicher zu sein. Hier muss dringend nachgebessert werden. Ebenfalls unbefriedigend ist die Konzeption des Nahverkehrs in Richtung Halle und Leipzig. Zwar ist der vorgesehene umsteigefreie Stundentakt zu begrüßen; jedoch sind Fahrzeiten von 1:25 h von Jena nach Halle und 1:30 h nach Leipzig weder ein attraktives Angebot für die Pendler zwischen diesen mitteldeutschen Großstädten, noch ermöglichen sie schnelle Anbindungen an die dortigen Fernverkehrslinien, die Jena weiterhin braucht; diesbezüglich ist das Konzept keine Verbesserung, sondern – im Hinblick auf den heutigen RE 18 und die im Dezember startende FTX-Verlängerung nach Leipzig – sogar eine Verschlechterung gegenüber dem Status Quo. Enttäuschend ist auch, dass der Entwurf trotz Elektrifizierung der MDV keine durchgehenden Nahverkehrslinien entlang der Thüringer Städtekette von Eisenach bis Altenburg vorsieht und die Verlängerung der heutigen EB 28 zur Pfefferminzbahn nicht berücksichtigt wurde.

Mit dem Gutachterentwurf rückt für Jena die Frage der innerstädtischen Haltekonzeption mit Nachdruck in den Vordergrund. Die Konzeption der beiden Fernlinien ist wegen ihrer vergleichsweise hohen Reisegeschwindigkeit erfreulich, führt aber auch dazu, dass in Jena nur ein Halt vorgesehen ist. Zudem ermöglicht das etwa zeitgleiche Aufeinandertreffen der beiden Fernlinien in Jena prinzipiell eine gute Verknüpfung aller Verkehrsangebote, die aber mit der gegenwärtigen Infrastruktur nur unzureichend möglich ist. Es bedarf daher nun schnellstmöglich der fachlichen Klärung, ob noch Spielraum für einen Doppelhalt in Jena besteht und welche Infrastruktur für die Verknüfung der Fern- und Nahverkehre in Jena gebraucht wird. Jetzt rächt sich, dass der Jenaer Stadtrat im Frühjahr 2018 die Untersuchung zum IC-Knoten abgelehnt hat. Mit dem Wissen aus dieser Untersuchung wäre Jena heute handlungsfähig; stattdessen läuft die Stadt nun ein weiteres Mal einer wichtigen Entwicklung hinterher.

Wie geht es nach dem Gutachterentwurf weiter?

Der am 9.10.2018 vorgestellte Gutachterentwurf des Zielfahrplans war der Auftakt zur landesweiten Abstimmung. Er ist als Diskussionsgrundlage für die nun folgenden Gespräche mit den Ländern und Eisenbahnunternehmen zu verstehen. Parallel dazu läuft die Ermittlung und Planung der Bauvorhaben, die zur Umsetzung des Deutschland-Taktes nötig sind. Bereits ab 2020 soll mit ersten Arbeiten an der Infrastruktur begonnen und der Fahrplan in Teilschritten eingeführt werden. Bis zum Jahr 2030 soll der Deutschland-Takt vollständig umgesetzt sein.

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