Kritik zum Fahrplankonzept 2016

Veröffentlicht von nwt-devjun am

Wer bisher den Versprechen der diversen Thüringer Landesregierungen glaubte, der Wegfall des ICE in Jena würde durch guten Nahverkehr kompensiert, der dürfte seit heute gründlich desillusioniert sein. Mit der Vorstellung des Jahresfahrplans 2016, dem Jahr, in dem der erste Teil der ICE-Neubaustrecke über Erfurt in Betrieb geht, wird zum ersten Mal sichtbar, wohin die Reise tatsächlich geht. Und die ist für Jena auch im Nahverkehr weit weniger erfreulich, als nach all den Versprechen zu erwarten gewesen wäre.

Wir erinnern uns: Ein schnelles Regionalexpressnetz sollte Jena mit den umliegenden ICE-Knoten „optimal“ verknüpfen. Die Züge dieses Netzes sollten „fernverkehrsähnlich“, also schnell und komfortabel sein und Reservierungen ermöglichen. Für Jena sind dabei besonders die Verbindungen nach Halle und Leipzig wichtig, weil dort zukünftig in die ICE nach Berlin und Hamburg umgestiegen werden muss, und weil Leipzig und Berlin die wichtigsten Fernpendlerziele unserer Stadt sind, zu denen der Umweg über Erfurt zu viel Zeit und Geld kosten würde.

Diese Expresszüge jedoch sucht man im Fahrplan 2016 vergeblich. Die einzige nennenswerte Verbesserung ist eine Regionalbahnlinie des neuen Betreibers Abellio, die aber nur alle zwei Stunden von Saalfeld nach Leipzig verkehrt und mit 16 Zwischenhalten ab Jena sagenhafte 78 Minuten Fahrzeit in die sächsische Metropole benötigt. Zum Vergleich: der ICE braucht etwa eine Stunde, die schnellste Route per Auto dauert 65 Minuten.

Nun mag man als Entschuldigung ins Feld führen, dass im Jahr 2016 ja noch der ICE über die Saalbahn verkehrt, den die Jenaer als schnelle Verbindung zumindest nach Leipzig nutzen können. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn geplant ist auch, dass der schnelle weiße Zug von den zwölf Monaten des Jahres 2016 ganze neun Monate wegen Bauarbeiten einen großen Bogen um unsere Stadt machen wird. Es käme also bereits 2016 auf schnelle Verbindungen nach Leipzig an, und zwar jede Stunde.

Und genauso käme es auf gute Früh- und Spätverbindungen dorthin an. Aber auch hier: Fehlanzeige. Dem Fahrplanentwurf zufolge können die ersten Fernzüge ab Leipzig Richtung Berlin von Jena aus schlicht nicht erreicht werden, weil der Nahverkehr aus unserer Stadt den Bahnhof Leipzig nicht rechtzeitig anfährt. Erst an den dritten werktäglichen ICE besteht Anschluss. Dass das auch anders geht, zeigt unsere Nachbarstadt Gera: von dort werden auch die ersten beiden ICE um 5:12 Uhr und 6:15 Uhr mit guten Übergängen erreicht.

Ähnlich schlecht die umgekehrte Richtung: der erste durchgehende Zug nach Saalfeld verlässt Leipzig erst gegen 8 Uhr und erreicht Jena damit deutlich nach 9 Uhr – für werktätige Pendler kein Angebot und ein Armutszeugnis für den Verkehr zwischen einer Halbmillionenstadt und dem „München des Ostens“. Für die eigene Stadt haben die Erfurter Planer dies übrigens besser berücksichtigt: Direktzüge in die Landeshauptstadt starten bereits um 6 und um 7 Uhr. Da ist es fast schon unnötig zu erwähnen, dass es abends in der Gegenrichtung für unsere Stadt auch nicht besser aussieht: der letzte Direktzug nach Jena verlässt Leipzig bereits gegen 20 Uhr, während Erfurt bis nach 23 Uhr und Gera sogar nach Mitternacht noch umsteigefrei angefahren werden.

Überhaupt fällt das geplante, ausgesprochen dichte Nahverkehrsprogramm von Halle und Leipzig nach Erfurt auf. Alleine im Nahverkehr sollen fast 60 tägliche Züge umsteigefreie Verbindungen herstellen. Rechnet man die neue Expresslinie über Sangerhausen mit ein, fahren sogar fast 80 tägliche Direktzüge. Für Jena sollen es nach dem Willen der Erfurter Planer ganze 18 sein. Durch Differenzen im Fahrgastaufkommen ist diese gewaltige Diskrepanz nicht zu erklären; der jüngst aktualisierte Thüringer Nahverkehrsplan zeigt keine derart großen Nachfrageunterschiede zwischen der Saalbahn und der Thüringer Bahn. Möglicherweise ist die Logik der Planer ja die, dass man dem Fahrgast dort, wo zukünftig der neue ICE stündlich superschnelle Verbindungen herstellen wird, auch noch ein besonders dichtes Nahverkehrsprogramm an die Seite stellen muss, während die Jenaer ja bald sowieso keine Alternative mehr haben.

Bei so viel Unausgewogenheit drängt sich eine Erkenntnis förmlich auf: Bei der Gestaltung des Nahverkehrsangebotes steht nicht die Versorgung und Anbindung der künftigen fernverkehrsbefreiten Regionen im Mittelpunkt, sondern die optimale Stärkung des ICE-Knotens der Landeshauptstadt. Nach all den verpulverten Milliarden muss er offenbar auf Biegen und Brechen ein Erfolgsmodell werden, koste es, was es wolle.

Wer das für eine Verschwörungstheorie hält, sollte im Fahrplanentwurf noch einmal die Verbindungen von Jena nach Halle betrachten. Da die ICE-Linie 28 im Jahr 2016 nur noch über Leipzig verkehren wird, besteht von Jena im Fernverkehr keine Direktverbindung in die sachsen-anhaltinische Universitätsstadt mehr. Trotzdem wurde im Nahverkehr nicht für Kompensation gesorgt, obwohl das prinzipiell recht einfach möglich gewesen wäre. Und so wird man im Jahr 2016, während von Erfurt aus (zusätzlich zum neuen ICE und der neuen Expresstrecke über Sangerhausen) auf der Thüringer Stammbahn Verbindungen im Halbstundentakt bestehen, von Jena aus nur noch einmal in der Stunde und grundsätzlich nur mit Umsteigen dorthin gelangen.

Selbstverständlich wird die Erfurter Ministerialbürokratie den Jenaern in den nächsten Tagen erklären, welchen Zwängen sie leider, leider unterliegt, dass dies ja nur ein Übergangskonzept sei und 2017 doch noch alles viel besser wird, ganz bestimmt. Davon sollte Jena aber lieber nicht mehr ausgehen. Am Franken-Thüringen-Express etwa, der einer der versprochenen schnellen und komfortablen Expresszüge sein soll, in der Realität aber mit 23 Zwischenhalten nach Nürnberg gurkt und selbst für Nahverkehrsverhältnisse die Komfortmaßstäbe dermaßen nach unten drückt, dass Fahrgastverbände und Kunden Sturm gegen ihn laufen, wird einer Kleinen Anfrage der Linken an die alte Landesregierung zufolge bis 2023 nichts mehr verändert werden. Und als wäre der Einsatz auf der Strecke nach Nürnberg nicht schon Strafe genug, wird dieses „Premiumprodukt“ des Nahverkehrs möglicherweise die Fahrgäste unserer Stadt auch auf den Expresszuglinien nach Halle und Leipzig heimsuchen (wenn sie denn überhaupt noch zustande kommen), denn um Komfort geht es für Jena schon lange nicht mehr, billig muss es sein. Auch hinsichtlich einer Verbesserung der nicht wettbewerbsfähigen Fahrzeit nach Leipzig sollten sich die Jenaer keine allzu große Hoffnung mehr machen. Ob der Zug in Sachsen an jedem Zaunpfahl hält oder nicht, wird nicht in Thüringen entschieden, und Sachsen hat andere Sorgen, als den Zug nach Jena zu beschleunigen und damit der Erfurter Verkehrspolitik auszuhelfen, die jahrelang nicht über den eigenen gewaltigen ICE-Knoten hinausdenken konnte. Wer will bei so viel Aussichtslosigkeit noch daran glauben, dass die Doppelstock-IC, die ab 2016 auf der Mitte-Deutschland-Verbindung verkehren sollten, aber im Fahrplanentwurf natürlich auch fehlen, vielleicht in einigen Jahren doch noch kommen? Oder dass die berühmten Tagesrand-Alibi-ICE für Jena tatsächlich und länger als ein Jahr verkehren werden, auch wenn es den Jenaern wahrscheinlich nicht gelingen wird, gegen 5 Uhr morgens 400 Sitzplätze mit für die DB auskömmlicher Gewinnmarge zu besetzen? Oder dass die MDV tatsächlich bis 2023 elektrifiziert wird und ein dichtes Angebot gefahren wird? Sicher ist nur eines: Jena wird 2017 den ICE verlieren und ein adäquater Ersatz ist trotz aller Versprechen nicht in Sicht.

Es bleibt zu hoffen, dass heute auch den letzten Optimisten der Ernst der Lage klar geworden ist. Jene Köpfe im Erfurter Verkehrsministerium, die übrigens auch nach dem letzten Politikwechsel weiterhin die Weichen stellen, können und wollen offenbar das Ostthüringer Fernverkehrs-Fiasko, das sie selbst mit angerichtet haben, nicht kompensieren. Sie sind völlig auf Erfurt fixiert und werden eher weitere Millionen für Prestigeprojekte wie die ICE-City oder den Flughafen bereitstellen, als auch nur einen Cent für ein angemessenes Fernverkehrsgrundangebot auf der Saalbahn oder die Elektrifizierung der MDV. Wenn die neue Landesregierung hier nicht bald eingreift, wenn die Jenaer Politiker nicht geschlossen und nachdrücklich die Interessen unserer Stadt vertreten, wenn nicht die Bürger auf sich aufmerksam machen, droht uns auf der Schiene ein Rückfall in die Postkutschenzeit.

Die Fahrplanentwürfe, auf die sich dieser Text bezieht, finden Sie im Internet unter www.nvsthueringen.de.

Stellungnahmen

Stellungnahmen sind bis zum 01.3.2015 unter dem Betreff „Jahresfahrplan 2016“ per Email an info@nvsthueringen.de oder per Post an

NVS Thüringen mbH
Schmidtstedter Straße 34
99084 Erfurt

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Kategorien: Aktuelles