Fragen und Antworten
Die Ursache ist nicht, dass in Jena eine zu geringe Nachfrage vorhanden ist, sondern das so genannte Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE) 8, eine Neubaustrecke von Halle und Leipzig nach Ebensfeld in Bayern, die Jena und das bevölkerungsreiche Ostthüringen in großem Abstand westlich umfährt. Auf diese Neubaustrecke hat sich seit Ende 2017 der schnelle ICE-Systemverkehr, insbesondere die bisherige ICE-Linie 28 über Jena, verlagert. Übriggeblieben ist nur ein einzenes ICE-Zugpaar, das Jena am Morgen in Richtung Berlin verläßt und abends zurückkehrt, sowie ein IC-Zugpaar zwischen Karlsruhe und Leipzig, das zu unterschiedlichen Zeiten verkehrt. Alle Fahrgäste, die nicht zufällig zu diesen Zeiten unterwegs sein können, müssen sich anstelle der jahrzehntelang gewohnten Direktverbindungen nach Berlin, Nürnberg und München seitdem andere Wege und Verkehrsmittel suchen.
Die Groß- und Universitätsstadt Jena ist aufgrund einer Vielzahl international vernetzter wissenschaftlicher Einrichtungen und weltweit tätiger Unternehmen auf gute Fernverkehrsanschlüsse angewiesen. Bereits in den letzten Jahren war die Erreichbarkeit Jenas unterdurchschnittlich; der schlagartige, fast vollständige Rückzug des Fernverkehrs zum Jahresende 2017 hat die Situation weiter verschlechtert. Trotz bester Entwicklungsperspektiven besteht die Gefahr, dass einer der wichtigsten ostdeutschen Wachstumskerne in seiner Entwicklung zurückgeworfen wird. Mittlerweile mehren sich die Anzeichen für Entscheidungen, die aufgrund der schlechten Erreichbarkeit gegen Jena ausgefallen sind. Damit besteht auch ein ernstes Entwicklungsproblem für den Freistaat Thüringen, denn die Standortfaktoren, die Jena bietet und die die Stadt für Hochtechnologie und Wissenschaft attraktiv machen, kann in dieser Form keine andere Stadt im Freistaat ersetzen. Verliert Jena hochqualifizierte Arbeitsplätze, verliert sie Thüringen.
Die DB Fernverkehr AG, die im Konzern Deutsche Bahn für den Fernverkehr zuständig ist, agiert als Wirtschaftsunternehmen privat-rechtlicher Form und kann ohne Zustimmung der Politik über ihr Angebot entscheiden. Zwar unterliegt sie als bundeseigenes Unternehmen der in Art. 87e Abs. 4 Grundgesetz geregelten Gewährleistungspflicht des Bundes für ein Verkehrsangebot, das dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung trägt; in der Praxis nimmt sie diese Verantwortung im Fernverkehr seit Jahren jedoch nur noch unzureichend wahr. Immerhin hat sie mit dem im Jahr 2015 veröffentlichten neuen Fernverkehrskonzept eine Trendwende angekündigt, die auch Jena wieder an den Taktfernverkehr anbinden könnte. Ob die DB ihre Ankündigung in die Tat umsetzt, bleibt jedoch abzuwarten. Mehr hierzu finden Sie im Abschnitt Verantwortung.
Nein, im Gegenteil. Die Neubaustrecke hat zur Verlagerung der ICE-Linie 28 geführt, die Jena bis zum Jahresende 2017 komfortabel und umsteigefrei jede Stunde mit wichtigen Zielen wie Berlin, Leipzig, Nürnberg und München und den dortigen Großflughäfen verband. Die versprochenen Reisezeitverkürzungen sind ausgeblieben; lediglich drei tägliche Sprinterverbindungen nach München sind schneller als die Neigetechnik-ICE früher auf dem direkten Weg. Geblieben sind hauptsächlich Nachteile: Wegen der nun nötigen Anfahrt mit dem Regionalverkehr mit Umstieg und Wartezeiten bis zu 20 Minuten sind die meisten Verbindungen langsamer, unbequemer und störanfälliger geworden. Aus dem bisher leicht zu merkenden Stundentakt mit umsteigefreien und komfortablen Verbindungen vom gut erreichbaren ICE-Bahnhof Jena Paradies wurde ein Flickwerk aus wechselnden Abfahrtsbahnhöfen und Abfahrtszeiten, wobei viele Verbindungen nun über den per ÖPNV und Auto schlecht erreichbaren Bahnhof Jena-West führen. Für Fahrten über die Neubaustrecke sind zu allem Überfluss die Fahrpreise signifikant höher. Alles in allem wurde das Fernreiseangebot für Jena durch die Neubaustrecke schlechter und teurer.
Weil sie es nicht besser wußten? Nein, im Ernst, wir wissen natürlich nicht, warum sie das taten. Bereits 2002 wurde durch die FH Erfurt erstmals prognostiziert, dass in Thüringen von der Neubaustrecke im Wesentlichen nur die Landeshauptstadt und deren enges Umfeld profitieren. 2011 wurde durch die von uns initiierte iRFP-Studie detailliert belegt, dass sich die Bedingungen für Bahnreisende von und nach Jena mit dem Entfall des ICE verschlechtern werden. Dennoch blieb die Thüringer Verkehrspolitik bis ins Jahr 2017 kompromisslos auf die Neubaustrecke und die Zentralisierung allen Verkehrs auf Erfurt fokussiert. Erst als die Verschlechterungen für Jena und weite Teile des Landes nicht mehr zu negieren waren und nachdem der Thüringer Ministerpräsident Ramelow persönlich eingriff, änderte das Erfurter Verkehrsministerium langsam seine Politik und verspricht Jena seitdem den Ausbau zum IC-Knoten. Es bleibt abzuwarten, was für unsere Stadt in der bezüglich schnellem Schienenverkehr mittlerweile fast aussichtslosen Lage noch zu retten sein wird.
Ja, für die regionale Erschließung der Impulsregion. Aber nicht als Ersatz für einen direkten Fernverkehrsanschluss. Im Vergleich zum sonstigen Eisenbahn-Regionalverkehr weist die S-Bahn durch ihre dichtere Taktfrequenz eine höhere spezifische Transportleistung, aber auch kürzere Halteabstände und einen noch schlechteren Komfort auf. Die Reisezeit nach Erfurt würde sich also gegenüber der im Regionalexpress noch verlängern, die Reisequalität nochmals sinken, die Erreichbarkeit Jenas noch schlechter. Die dichtere Taktfrequenz verkleinert lediglich das Anschlussverlustrisiko.
Nein. Der ICE ist das schnelle Premiumprodukt des Fernverkehrs. Es ist vernünftig, dass er die Neubaustrecke nutzt und schnelle Verbindungen zwischen Berlin und München schafft. Das bedeutet aber nicht, dass auf der Saalbahn kein Fernzug mehr fahren kann oder darf. Die Saalbahn ist als Fernverkehrsstrecke ausgebaut, verbindet zwei Metropolregionen, erschließt mit Ostthüringen den bevölkerungsreichsten Landesteil Thüringens, der über den Knoten Erfurt nicht gut angebunden werden kann, und sollte daher weiter eine Fernverkehrsfunktion haben. Das passende Fernverkehrsprodukt für die Saalbahn ist der IC, wie er im neuen Fernverkehrskonzept der DB vorgesehen ist.
Die Frage ist berechtigt. In den Neubau des Fernbahnhofs Jena Paradies (ein funktionierender Regionalbahnhof war ja bereits vorhanden) sind einschließlich des Verknüpfungspunktes mit dem regionalen Busverkehr etwa 24 Millionen Euro geflossen. Der ICE-Bahnhof wurde 2005, der Busbahnhof 2010 eröffnet. Eine Broschüre der DB zum Bau des neuen Fernbahnhofs, die u.a. eine Netzgrafik „europaweiter“ Fernverbindungen von Jena zeigt, ist hier zu sehen. Kritische Fragen muss sich jedoch auch die Stadt Jena ob der Entscheidung für den Standort des Fernbahnhofs gefallen lassen, denn der Bahnhof Paradies war von vorneherein nicht für die Verknüpfung des Verkehrs zwischen den beiden Jena durchquerenden Eisenbahnstrecken geeignet.
Die Bezeichnung steht für ein langfristig angelegtes Thüringer Großprojekt, das im „Bahndialog Ostthüringen“ im November 2017 von der Thüringer Landesregierung ins Leben gerufen wurde, um die Schienenverkehrsanbindung der Stadt Jena und der Region Ostthüringen auf der Schiene zu verbessern. Im weiteren Sinne beschreibt der Begriff ein Maßnahmenpaket, das im großräumigen Maßstab Infrastrukturausbau und die Beschleunigung der Schienenpersonenverkehrsangebote in Ostthüringen umfasst. Im engeren Sinne ist darunter ein Jenaer Knotenbahnhof zu verstehen, der der optimalen Verknüpfung des geplanten Fernverkehrs mit dem Regional- und öffentlichen Nahverkehr sowie dem Individualverkehr dienen und ein Markenzeichen von Jena werden soll.
Die Steuerung des Projektes übernimmt ein Lenkungskreis, in dem alle wichtigen Entscheidungsträger und Akteure der Ostthüringer Region, Westsachsens und des südlichen Sachsen-Anhalts sowie die Deutsche Bahn AG einbezogen sind. In seiner ersten Sitzung am 8. März 2018 hat der Lenkungskreis vier Arbeitsgruppen gebildet. Die Arbeitsgruppe „IC-Knoten Jena“ soll unter der Leitung des Jenaer Oberbürgermeisters die Entwicklungsperspektiven der Jenaer Bahnhöfe untersuchen und den Standort für den Knotenbahnhof festlegen. Die Arbeitsgruppe „Fernverkehr Jena/Ostthüringen“ soll unter Leitung des Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Eckart Fricke, die Realisierung von Fernverkehrsanbindungen unterstützen und die Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Verbindung aktiv begleiten. Die Arbeitsgruppe „Verknüpfung Kommunal- und Regionalverkehr Straße und Schiene“ soll unter der Leitung von Lutz Irmer, Abteilungsleiter im Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, die optimale Verknüpfung von straßen- und schienengebundenem Nah- und Fernverkehr im SPNV-Taktknoten Jena ermitteln. Die Arbeitsgruppe „Wirtschaft- und Wissenschaftsstandort Jena“ soll unter Leitung des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft die anstehenden Großinvestitionen der Carl Zeiss AG am Standort Jena sowie die Weiterentwicklung des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts begleiten.
Der IC-Knoten ist die Voraussetzung dafür, dass Jena bessere und schnellere Schienenverkehrsangebote erhält. Infrastrukturmaßnahmen wie die Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Verbindung sind die Voraussetzung dafür, dass die im Zuge der Fernverkehrsoffensive der Deutschen Bahn bzw. des Deutschland-Taktes geplanten Fernzüge eingeführt werden können. Der (Aus-)Bau eines Knotenbahnhofs in Jena ist die Voraussetzung dafür, dass die neuen Fernzüge besser mit dem ÖPNV (Nahverkehrszüge, Straßenbahnen, Busse) und dem Autoverkehr verknüpft werden können; damit profitiert auch die Region um Jena, während die größere Nachfrage die Fernzüge langfristig sichern hilft. Nicht zuletzt soll der neue Knotenbahnhof ein würdiges Eingangstor für die moderne Großstadt Jena sein, der Fahrgästen zeitgemäßen Komfort bietet, einfaches Umsteigen erlaubt und mit allen regionalen Verkehrsmitteln bestens erreichbar ist. Welches Optimierungspotential im Detail besteht und an welchem Standort es am besten umgesetzt werden kann, soll eine Untersuchung durch mit der Thematik erfahrene Fachgutachter zeigen.
Der Knotenbahnhof soll
- das Umsteigen zwischen Fern- und Regionalzügen ermöglichen
- aus allen Stadtteilen und dem Umland gut per Straßenbahn, Bus und Auto erreichbar sein
- ein modernes, angemessenes Erscheinungsbild und guten Fahrgastservice bieten
Untersucht werden soll, ob diese Ziele durch eine Verknüpfung der bestehenden Bahnhöfe Jena Paradies und Jena-West erreicht werden können oder ob ein Aus- und oder Neubau im Überlappungsbereich der beiden durch Jena führenden Bahnstrecken (Saalbahn und Mitte-Deutschland-Verbindung) besser ist. Zum Untersuchungsumfang gehören dabei betriebliche Aspekte wie die Dimensionierung der notwendigen Infrastruktur (z. B. Gleise, Anzahl Bahnsteigkanten), der Nachweis, dass diese zukünftigen integralen Taktfahrplänen (z.B. Deutschland-Takt) genügt, und nicht zuletzt eine Prognose der verkehrlichen Wirkung und der siedlungsstrukturellen Auswirkungen (Impulse für die Stadtentwicklung). Ergebnis der Untersuchung ist eine Darstellung der Entwicklungsoptionen und der damit jeweils verbundenen Vor- und Nachteile, die dem Stadtrat Jena somit eine fundierte Standortentscheidung ermöglichen.
Wenn die Untersuchung ergibt, dass eine Verknüpfung der Bahnhöfe Jena Paradies und Jena-West alle Abforderungen des IC-Knotens erfüllen kann, würde sich an der Lage der Bahnhöfe nichts ändern. Wenn die Untersuchung ergibt, dass der Aus- oder Neubau eines Knotenbahnhofs im Bündelungsabschnitt der beiden Jenaer Eisenbahnstrecken die bessere Alternative ist, könnte dieser im Bereich des heutigen Bahnhofs Jena-Göschwitz oder oder unmittelbar am Schnittpunkt der Bahnstrecken mit der Lobedaer Straße im Jenaer Stadtteil Burgau liegen.
Nein. Die vorhandenen Jenaer Bahnhöfe bleiben natürlich bestehen und werden auf jeden Fall weiterhin vom Regionalverkehr bedient. Fraglich ist nur, an welchem Bahnhof bzw. an welchen Bahnhöfen in Jena die Züge der neuen Fernverkehrslinien zukünftig halten werden. Hierzu hat die Deutsche Bahn AG als künftiger Betreiber dieser Linien erklärt, auch im Falle des Neubaus eines Knotenbahnhofs weiterhin die Innenstadtbahnhöfe Jena Paradies und Jena-West bedienen zu wollen. Der Musterfahrplan zum Deutschland-Takt sieht hingegen nur noch einen Halt am Bahnhof Jena-Göschwitz vor. Im Rahmen der Untersuchung zum IC-Knoten wird daher auch abzuklären sein, ob die fahrplantechnologischen Rahmenbedingungen des Deutschland-Taktes weiterhin einen Doppelhalt in Jena erlauben.